Die Aspekte unser Arbeit sind vielfältig. Als unsere Hauptaufgabe sehen wir die Vermittlung von kranken Menschen ins staatliche Gesundheitssytem. Daneben ist unser Ziel auch die Aufklärung über die politischen und gesellschaftlichen Umstände, die diese Arbeit erst notwendig machen.
Die aktuellste verlässliche Schätzung ging davon aus, dass 2014 zwischen 180 000 und 520 000 Menschen illegalisiert in Deutschland leben. Nachdem im Jahr 2015 über 1 Millionen Migrant*innen nach Europa einwanderten, ist eine Zunahme der in Illegalität lebenden Menschen wahrscheinlich. Die Gründe für ein Leben in der Illegalität sind dabei ebenso unterschiedlich wie die Migrationshintergründe.
Manche sind als Student*innen gekommen und nach Ablauf ihres Visums geblieben, einige wurden in ihren Herkunftsländern verfolgt, andere wurden von bereits hier lebenden Familienangehörigen nachgeholt. Viele leben seit mehreren Jahren in Deutschland und können oder wollen nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren, andere sind nur auf der Durchreise oder pendeln. Manche Kinder, die in Deutschland geboren wurden und hier ihr gesamtes Leben verbracht haben, sind illegalisiert, wenn ihre Eltern nicht über eine Aufenthaltserlaubnis verfügen. Zwei Aspekte treffen allerdings auf alle zu: Sie wollen selbst über ihr Leben und ihren Aufenthaltsort bestimmen und sie werden dafür kriminalisiert.
Illegalisierte arbeiten in fast allen Bereichen der Wirtschaft und in manchen Wirtschaftszweigen wie dem Baugewerbe, der Landwirtschaft und dem Hotel- und Gastronomiegewerbe sind sie ein essenzieller Teil der Arbeitskraft. Obwohl sie längst Teil unserer Gesellschaft sind, wird ihre Existenz von staatlicher Seite weitgehend ignoriert. Die Illegalisierung bringt die Menschen in eine Lebenssituation, in der ihnen zahlreiche Rechte verwehrt werden und das Einfordern selbst grundlegender Menschenrechte mit der Gefahr verbunden ist, abgeschoben zu werden.
Juristisch werden Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylLG) zugeordnet und haben damit Anspruch auf medizinische Versorgung bei akuten oder schmerzhaften Erkrankungen (§ 4) oder auf Leistungen, die zur Aufrechterhaltung der Gesundheit unerlässlich sind (§ 6).1 Die im AsylLG festgeschriebene Minimalbehandlung ist jedoch nicht nur eine völlig unzureichende Gesundheitsversorgung, sie verstößt auch gegen das Menschenrecht auf Gesundheit (UN-Sozialpakt Art. 12), welches einen gleichberechtigten Zugang zu medizinischer Versorgung vorsieht.2 Die Missachtung dieses von Deutschland ratifizierten Vertrags3 wurde bereits von Seiten des Economic and Social Council der UN kritisiert4, doch die Diskriminierung im AsylLG besteht fort.
Um überhaupt ihren Anspruch auf medizinische Versorgung geltend machen zu können, müssen sich Menschen ohne Papiere an das Sozialamt wenden. Wie alle öffentlichen Stellen ist das Sozialamt gesetzlich zur Meldung an die Ausländerbehörde verpflichtet (§ 87 AufenthaltG).5 Das Recht auf Gesundheit wird Menschen ohne Aufenthaltstitel faktisch verwehrt, da jeder Kontakt zum Sozialamt mit der Drohung einer Abschiebung verbunden ist. In der Folge werden eigentlich behandelbare Krankheiten verschleppt oder sie chronifizieren sich.6
Eine Ausnahme stellt die Notfallversorgung dar, wofür das Krankenhaus nachträglich eine Kostenrückerstattung vom Sozialamt beantragen kann (SGB XII, §25).7 Seit September 2009 gilt eine Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Inneren, laut der das Sozialamt in diesem Fall dem „verlängerten Geheimnisschutz“ unterliegt8. Die praktische Umsetzung weist jedoch große Mängel auf. Krankenhäuser werden häufig auf den Kosten sitzen gelassen9 und daher fordern viele Krankenhäuser Anzahlungen von Illegalisierten, die sich diese oft nicht leisten können oder weisen sie ab.
Weitere Informationen finden Sie auf dem Informationsportal für Medibüros und Medinetze.
Das Medinetz setzt sich für die gesundheitliche Versorgung von Menschen ohne Papiere ein. Die Illegalisierung erschwert jedoch alle Lebensbereiche. Dazu arbeiten und informieren zum Beispiel Legalisierung jetzt und Respect Berlin.
Von der Gründung des Medinetzes 2009 bis zur Etablierung unseres Schwestervereins CABL e.V. im Herbst 2019 stellte die praktische Vermittlung medizinischer Hilfe ein Kernstück unserer Arbeit dar. Wöchentlich boten wir eine Sprechstunde an, in der sich Menschen ohne Krankenversicherung an uns wenden konnten. Wir vermittelten sie dann an Ärzt*innen, die sich bereiterklärt hatten, mit uns zu kooperieren. Nötige medizinische Behandlungen fanden ehrenamtlich statt oder wurden vom Verein durch Spenden finanziert.
Seit der Gründung von CABL e.V. ist diese Arbeit unsererseits nicht mehr nötig. Mithilfe eines Anonymen Behandlungsscheins können Menschen ohne Krankenversicherung Ärzt*innen ihrer Wahl aufsuchen und die Behandlungen können über das Budget des Vereins gezahlt werden. Das Medinetz unterstützt CABL e.V. dabei mit der Erfahrung, die die Ehrenamtlichen in langjähriger Patient*innenarbeit gesammelt haben.
Falls von den Klient*innen eine engmaschigere Betreuung gewünscht wird, kann dies von den Aktiven des Medinetzes übernommen werden. Wir können beispielsweise bei der Vereinbarung von ärztlichen Terminen unterstützen und auf Wunsch auch zu diesen Terminen begleiten.
CABL e.V.
Seit der Gründung des Medinetz 2009 war uns bewusst, dass unser System keine langfristige Lösung für die medizinische Versorgung von Menschen ohne Aufenthaltsstatus bleiben konnte.
Die Versorgung einer ganzen Bevölkerungsgruppe darf nicht auf ehrenamtliche Akteur*innen abgewälzt werden. Um diese Verantwortung wieder in staatliche Hände zurückzugeben, arbeiteten wir seit Gründung des Medinetz auf Kommunal- und Landesebene auf die Einführung eines sogenannten Anonymen Behandlungsscheins hin.
Der Anonyme Kranken-/ Behandlungsschein ist ein seit fast zwanzig Jahren immer wieder diskutierter Lösungsansatz für die Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Aufenthaltsstatus. Ähnlich wie derzeit in vielen Bundesländern die Versorgung von Asylbewerber*innen organisiert ist, soll eine darauf spezialisierte Stelle Behandlungsscheine an illegalisierte Migrant*innen vergeben, mit denen die behandelnden Ärzt*innen die Kosten der Behandlung abrechnen können. So soll der Rechtsanspruch, den auch Menschen ohne Aufenthaltsstatus nach AslylbLG auf Gesundheitsversorgung haben, erfüllt werden (AsylbLG §1 Abs 1 Nr. 5). Aufgrund der Meldepflicht von städtischen Stellen nach §87 AufenthG soll die Vergabe der Behandlungsscheine in einer unabhängigen Einrichtung stattfinden, zum Beispiel angegliedert an eine soziale Beratungsstelle. Diese Stelle hat ein Budget zur Verfügung, über das die Behandlungskosten abgerechnet werden können. Die ausgegeben Scheine werden mit einem Pseudonym versehen, so dass an keiner Stelle im Abrechnungsprozess persönliche Daten der Patient*innen offengelegt werden müssen. Doch nicht nur Menschen ohne Aufenthaltsstatus, sondern alle Menschen ohne Krankenversicherung können Anonyme Behandlungsscheine in Anspruch nehmen.
Schon 2001 forderte die Arbeitsgruppe „Armut und Gesundheit“ die Bundesregierung dazu auf, eine anonyme Gewährleistung von Gesundheitsleistungen für illegalisierte Migrant*innen und potentielle Finanzierungsmöglichkeiten dazu zu prüfen. Dieser Vorschlag wurde aber vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung abgelehnt (Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen. 2002. Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen über die Lage der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin und Bonn S.245). Inzwischen ist es allerdings in mehreren deutschen Städten und Bundesländern gelungen, Projekte zur Vergabe des Anonymen Krankenscheins ins Leben zu rufen. So wurde 2017 in Thüringen beispielsweise der Verein Anonymer Krankenschein Thüringen e.V ins Leben gerufen, der seitdem im ganzen Bundesland Anonyme Krankenscheine ausgibt.
In Leipzig wurde nach intensiver politischer Arbeit im Haushalt für 2019/2020 auf Antrag der Grünen-Fraktion im Stadtrat ein Budget von 100 000€ im Jahr für die Einrichtung einer Clearingstelle für die medizinische Versorgung von Menschen ohne Papiere bewilligt
In Zusammenarbeit mit dem Gesundheits- und dem Sozialamt wurde der Verein CABL e.V. (Clearingstelle und Anonymer Behandlungsschein Leipzig e.V.) gegründet, der im November 2019 seine Arbeit aufnahm.
CABL e.V. bietet seit Beginn seiner Arbeit eine Sozialberatung mit dem Ziel der Eingliederung seiner Klient*innen in die medizinische Regelversorgung an, gleichzeitig werden in der Sprechstunde Anonyme Behandlungsscheine zur Finanzierung von ambulanten medizinischen Behandlungen ausgegeben. Aufgrund der geringen finanziellen Mittel können im Moment stationären Behandlungen nur im Einzelfall und nach vorheriger Absprache übernommen werden.
Ziel des Vereins ist nun eine Verstetigung des Angebots und die Etablierung des Anonymen Behandlungsscheins als Abrechnungsmittel in Leipziger Praxen und Apotheken.
SABS
Ein Anonymer Behandlungsschein in Leipzig ist bereits ein großer Erfolg, doch werden viele Menschen, die medizinische Unterstützung brauchen, über das Projekt nicht abgedeckt. Die Etablierung von CABL e.V. in Leipzig hat eine Ungleichbehandlung der Menschen innerhalb Sachsens geschaffen, die nicht vertretbar ist. 2020 hat sich daher eine Initiative der Medinetze Dresden, Leipzig und Jena sowie des Medibüros Chemnitz gebildet, die nach dem Beispiel des AKST in Thüringen einen durch das Land geförderten Sächsischen Anonymen Behandlungsschein (SABS) mit Clearingangebot fordert. Vor allem in ländlichen Regionen sind Hilfestrukturen und Netzwerke, wie beispielsweise die Medinetze, deutlich schwächer ausgeprägt. Dies benachteiligt marginalisierte Gruppen zusätzlich. Daher ist es dringend nötig, flächendeckende Angebote zu schaffen. Wie sich in Thüringen gezeigt hat, ist ein solches Projekt praktikabel, erfolgversprechend und durchführbar.
Andere politische Arbeit
Auch nach der Etablierung des Anonymen Behandlungsscheins in Leipzig ist unsere politische Arbeit nicht zu Ende. Einerseits ist die Förderung von CABL e.V. nicht langfristig gesichert, andererseits stellt auch die Versorgung, die CABL e.V. für Menschen ohne Krankenversicherung sicherstellen kann, nur eine Zwischenlösung dar. Das Budget des Vereins reicht zum Beispiel bei Weitem nicht aus, um die Klient*innen umfassend zu versorgen. Außerdem sind Anonyme Behandlungsscheine deutlich aufwändiger und barrierereicher als die medizinische Regelversorgung in Deutschland. Langfristig muss das deutsche Gesundheitssystem offen für alle Menschen sein, unabhängig von Pass und Aufenthaltsstatus.
Dafür setzen wir uns weiterhin politisch ein, sowohl auf Kommunal- , als auch auf Landes- und Bundesebene. Konkrete Ziele sind dabei unter anderem die Abschaffung oder Änderung der Meldepflicht öffentlicher Stellen (§87 AufenthG), der sich auch die Organisation Ärzte der Welt verschrieben hat (https://www.bundestag.de/resource/blob/816306/4b6f8e5608bd56520e8f498d1bb25bc0/19_14_0265-3-_Aerzte-der-Welt_Gesundsversorgung-data.pdf).
Flüchtlingsrat Leipzig
fluechtlingsrat-lpz.org
fr@fluechtlingsrat-lpz.org
menschen-wuerdig – Kampagne für menschenwürdiges Leben & Wohnen auch für Asylsuchende
http://www.menschen-wuerdig.org/
- Hintergründe
Die aktuellste verlässliche Schätzung ging davon aus, dass 2014 zwischen 180 000 und 520 000 Menschen illegalisiert in Deutschland leben. Nachdem im Jahr 2015 über 1 Millionen Migrant*innen nach Europa einwanderten, ist eine Zunahme der in Illegalität lebenden Menschen wahrscheinlich. Die Gründe für ein Leben in der Illegalität sind dabei ebenso unterschiedlich wie die Migrationshintergründe.
Manche sind als Student*innen gekommen und nach Ablauf ihres Visums geblieben, einige wurden in ihren Herkunftsländern verfolgt, andere wurden von bereits hier lebenden Familienangehörigen nachgeholt. Viele leben seit mehreren Jahren in Deutschland und können oder wollen nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren, andere sind nur auf der Durchreise oder pendeln. Manche Kinder, die in Deutschland geboren wurden und hier ihr gesamtes Leben verbracht haben, sind illegalisiert, wenn ihre Eltern nicht über eine Aufenthaltserlaubnis verfügen. Zwei Aspekte treffen allerdings auf alle zu: Sie wollen selbst über ihr Leben und ihren Aufenthaltsort bestimmen und sie werden dafür kriminalisiert.
Illegalisierte arbeiten in fast allen Bereichen der Wirtschaft und in manchen Wirtschaftszweigen wie dem Baugewerbe, der Landwirtschaft und dem Hotel- und Gastronomiegewerbe sind sie ein essenzieller Teil der Arbeitskraft. Obwohl sie längst Teil unserer Gesellschaft sind, wird ihre Existenz von staatlicher Seite weitgehend ignoriert. Die Illegalisierung bringt die Menschen in eine Lebenssituation, in der ihnen zahlreiche Rechte verwehrt werden und das Einfordern selbst grundlegender Menschenrechte mit der Gefahr verbunden ist, abgeschoben zu werden.
Juristisch werden Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylLG) zugeordnet und haben damit Anspruch auf medizinische Versorgung bei akuten oder schmerzhaften Erkrankungen (§ 4) oder auf Leistungen, die zur Aufrechterhaltung der Gesundheit unerlässlich sind (§ 6).1 Die im AsylLG festgeschriebene Minimalbehandlung ist jedoch nicht nur eine völlig unzureichende Gesundheitsversorgung, sie verstößt auch gegen das Menschenrecht auf Gesundheit (UN-Sozialpakt Art. 12), welches einen gleichberechtigten Zugang zu medizinischer Versorgung vorsieht.2 Die Missachtung dieses von Deutschland ratifizierten Vertrags3 wurde bereits von Seiten des Economic and Social Council der UN kritisiert4, doch die Diskriminierung im AsylLG besteht fort.
Um überhaupt ihren Anspruch auf medizinische Versorgung geltend machen zu können, müssen sich Menschen ohne Papiere an das Sozialamt wenden. Wie alle öffentlichen Stellen ist das Sozialamt gesetzlich zur Meldung an die Ausländerbehörde verpflichtet (§ 87 AufenthaltG).5 Das Recht auf Gesundheit wird Menschen ohne Aufenthaltstitel faktisch verwehrt, da jeder Kontakt zum Sozialamt mit der Drohung einer Abschiebung verbunden ist. In der Folge werden eigentlich behandelbare Krankheiten verschleppt oder sie chronifizieren sich.6
Eine Ausnahme stellt die Notfallversorgung dar, wofür das Krankenhaus nachträglich eine Kostenrückerstattung vom Sozialamt beantragen kann (SGB XII, §25).7 Seit September 2009 gilt eine Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Inneren, laut der das Sozialamt in diesem Fall dem „verlängerten Geheimnisschutz“ unterliegt8. Die praktische Umsetzung weist jedoch große Mängel auf. Krankenhäuser werden häufig auf den Kosten sitzen gelassen9 und daher fordern viele Krankenhäuser Anzahlungen von Illegalisierten, die sich diese oft nicht leisten können oder weisen sie ab.
Weitere Informationen finden Sie auf dem Informationsportal für Medibüros und Medinetze.
Das Medinetz setzt sich für die gesundheitliche Versorgung von Menschen ohne Papiere ein. Die Illegalisierung erschwert jedoch alle Lebensbereiche. Dazu arbeiten und informieren zum Beispiel Legalisierung jetzt und Respect Berlin.
Vgl. Vogel, Dita (2015): Update report Germany: Estimated number of irregular foreign residents in Germany (2014), Database on Irregular Migration, Update report, http://irregular-migration.net/Vgl. Internationale Organisation für Migration: Europe — Mixed Migration Flows to Europe, Yearly Overview (2015), Januar 2016, https://migration.iom.int/reports/europe-%E2%80%94-mixed-migration-flows-europe-yearly-overview-2015Vgl. Mylius, Maren: Die medizinische Versorgung von Menschen ohne Papiere in Deutschland. In: Menschenrechte in der Medizin. Human Rights in Healthcare. Band 2. Hrsg: Bielefeldt, Heiner; Frewer, Andreas. transcript Verlag, Bielefeld, 2016, S. 29.Vgl. Sayed, Mustapha: Die Gesundheitsversorgung von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus – papierlos, schutzlos, rechtlos?, Feb. 2015, S. 61, https://media.suub.uni-bremen.de/handle/elib/831.Vgl. Bundesamt für Justiz: http://www.gesetze-im-internet.de/asylblg/.Vgl. General Assembly der UNO: International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights. 1966, https://www.ohchr.org/EN/ProfessionalInterest/Pages/CESCR.aspx.Vgl. United Nations Human Rights Office of the High Commissioner; Committee on Economic, Social and Cultural Rights: Ratification of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights. https://www.ohchr.org/EN/HRBodies/CESCR/Pages/CESCRIndex.aspxVgl. Economic and Social Council der UNO; Committee on Economic, Social and Cultural Rights: Concluding observations on the sixth periodic report of Germany. Nov. 2018, S. 9, https://tbinternet.ohchr.org/_layouts/15/treatybodyexternal/Download.aspx?symbolno=E%2fC.12%2fDEU%2fCO%2f6&Lang=en.Vgl. Bundesamt für Justiz: https://www.gesetze-im-internet.de/aufenthg_2004/index.htmlVgl. Sayed, Mustapha (2015), S. 116ff.Vgl. Bundesamt für Justiz: https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_12/ Bundesministerium des Innern: Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz. Vom 26. Oktober 2009, S. 350, http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/pdf/BMI-MI3-20091026-SF-A001.pdf.Vgl. Mylius, Maren (2016), S. 271. - Praktische Hilfe
Von der Gründung des Medinetzes 2009 bis zur Etablierung unseres Schwestervereins CABL e.V. im Herbst 2019 stellte die praktische Vermittlung medizinischer Hilfe ein Kernstück unserer Arbeit dar. Wöchentlich boten wir eine Sprechstunde an, in der sich Menschen ohne Krankenversicherung an uns wenden konnten. Wir vermittelten sie dann an Ärzt*innen, die sich bereiterklärt hatten, mit uns zu kooperieren. Nötige medizinische Behandlungen fanden ehrenamtlich statt oder wurden vom Verein durch Spenden finanziert.
Seit der Gründung von CABL e.V. ist diese Arbeit unsererseits nicht mehr nötig. Mithilfe eines Anonymen Behandlungsscheins können Menschen ohne Krankenversicherung Ärzt*innen ihrer Wahl aufsuchen und die Behandlungen können über das Budget des Vereins gezahlt werden. Das Medinetz unterstützt CABL e.V. dabei mit der Erfahrung, die die Ehrenamtlichen in langjähriger Patient*innenarbeit gesammelt haben.
Falls von den Klient*innen eine engmaschigere Betreuung gewünscht wird, kann dies von den Aktiven des Medinetzes übernommen werden. Wir können beispielsweise bei der Vereinbarung von ärztlichen Terminen unterstützen und auf Wunsch auch zu diesen Terminen begleiten.
- Politische Initiative
CABL e.V.
Seit der Gründung des Medinetz 2009 war uns bewusst, dass unser System keine langfristige Lösung für die medizinische Versorgung von Menschen ohne Aufenthaltsstatus bleiben konnte.
Die Versorgung einer ganzen Bevölkerungsgruppe darf nicht auf ehrenamtliche Akteur*innen abgewälzt werden. Um diese Verantwortung wieder in staatliche Hände zurückzugeben, arbeiteten wir seit Gründung des Medinetz auf Kommunal- und Landesebene auf die Einführung eines sogenannten Anonymen Behandlungsscheins hin.
Der Anonyme Kranken-/ Behandlungsschein ist ein seit fast zwanzig Jahren immer wieder diskutierter Lösungsansatz für die Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Aufenthaltsstatus. Ähnlich wie derzeit in vielen Bundesländern die Versorgung von Asylbewerber*innen organisiert ist, soll eine darauf spezialisierte Stelle Behandlungsscheine an illegalisierte Migrant*innen vergeben, mit denen die behandelnden Ärzt*innen die Kosten der Behandlung abrechnen können. So soll der Rechtsanspruch, den auch Menschen ohne Aufenthaltsstatus nach AslylbLG auf Gesundheitsversorgung haben, erfüllt werden (AsylbLG §1 Abs 1 Nr. 5). Aufgrund der Meldepflicht von städtischen Stellen nach §87 AufenthG soll die Vergabe der Behandlungsscheine in einer unabhängigen Einrichtung stattfinden, zum Beispiel angegliedert an eine soziale Beratungsstelle. Diese Stelle hat ein Budget zur Verfügung, über das die Behandlungskosten abgerechnet werden können. Die ausgegeben Scheine werden mit einem Pseudonym versehen, so dass an keiner Stelle im Abrechnungsprozess persönliche Daten der Patient*innen offengelegt werden müssen. Doch nicht nur Menschen ohne Aufenthaltsstatus, sondern alle Menschen ohne Krankenversicherung können Anonyme Behandlungsscheine in Anspruch nehmen.
Schon 2001 forderte die Arbeitsgruppe „Armut und Gesundheit“ die Bundesregierung dazu auf, eine anonyme Gewährleistung von Gesundheitsleistungen für illegalisierte Migrant*innen und potentielle Finanzierungsmöglichkeiten dazu zu prüfen. Dieser Vorschlag wurde aber vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung abgelehnt (Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen. 2002. Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen über die Lage der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin und Bonn S.245). Inzwischen ist es allerdings in mehreren deutschen Städten und Bundesländern gelungen, Projekte zur Vergabe des Anonymen Krankenscheins ins Leben zu rufen. So wurde 2017 in Thüringen beispielsweise der Verein Anonymer Krankenschein Thüringen e.V ins Leben gerufen, der seitdem im ganzen Bundesland Anonyme Krankenscheine ausgibt.
In Leipzig wurde nach intensiver politischer Arbeit im Haushalt für 2019/2020 auf Antrag der Grünen-Fraktion im Stadtrat ein Budget von 100 000€ im Jahr für die Einrichtung einer Clearingstelle für die medizinische Versorgung von Menschen ohne Papiere bewilligt
In Zusammenarbeit mit dem Gesundheits- und dem Sozialamt wurde der Verein CABL e.V. (Clearingstelle und Anonymer Behandlungsschein Leipzig e.V.) gegründet, der im November 2019 seine Arbeit aufnahm.
CABL e.V. bietet seit Beginn seiner Arbeit eine Sozialberatung mit dem Ziel der Eingliederung seiner Klient*innen in die medizinische Regelversorgung an, gleichzeitig werden in der Sprechstunde Anonyme Behandlungsscheine zur Finanzierung von ambulanten medizinischen Behandlungen ausgegeben. Aufgrund der geringen finanziellen Mittel können im Moment stationären Behandlungen nur im Einzelfall und nach vorheriger Absprache übernommen werden.
Ziel des Vereins ist nun eine Verstetigung des Angebots und die Etablierung des Anonymen Behandlungsscheins als Abrechnungsmittel in Leipziger Praxen und Apotheken.
SABS
Ein Anonymer Behandlungsschein in Leipzig ist bereits ein großer Erfolg, doch werden viele Menschen, die medizinische Unterstützung brauchen, über das Projekt nicht abgedeckt. Die Etablierung von CABL e.V. in Leipzig hat eine Ungleichbehandlung der Menschen innerhalb Sachsens geschaffen, die nicht vertretbar ist. 2020 hat sich daher eine Initiative der Medinetze Dresden, Leipzig und Jena sowie des Medibüros Chemnitz gebildet, die nach dem Beispiel des AKST in Thüringen einen durch das Land geförderten Sächsischen Anonymen Behandlungsschein (SABS) mit Clearingangebot fordert. Vor allem in ländlichen Regionen sind Hilfestrukturen und Netzwerke, wie beispielsweise die Medinetze, deutlich schwächer ausgeprägt. Dies benachteiligt marginalisierte Gruppen zusätzlich. Daher ist es dringend nötig, flächendeckende Angebote zu schaffen. Wie sich in Thüringen gezeigt hat, ist ein solches Projekt praktikabel, erfolgversprechend und durchführbar.
Andere politische Arbeit
Auch nach der Etablierung des Anonymen Behandlungsscheins in Leipzig ist unsere politische Arbeit nicht zu Ende. Einerseits ist die Förderung von CABL e.V. nicht langfristig gesichert, andererseits stellt auch die Versorgung, die CABL e.V. für Menschen ohne Krankenversicherung sicherstellen kann, nur eine Zwischenlösung dar. Das Budget des Vereins reicht zum Beispiel bei Weitem nicht aus, um die Klient*innen umfassend zu versorgen. Außerdem sind Anonyme Behandlungsscheine deutlich aufwändiger und barrierereicher als die medizinische Regelversorgung in Deutschland. Langfristig muss das deutsche Gesundheitssystem offen für alle Menschen sein, unabhängig von Pass und Aufenthaltsstatus.
Dafür setzen wir uns weiterhin politisch ein, sowohl auf Kommunal- , als auch auf Landes- und Bundesebene. Konkrete Ziele sind dabei unter anderem die Abschaffung oder Änderung der Meldepflicht öffentlicher Stellen (§87 AufenthG), der sich auch die Organisation Ärzte der Welt verschrieben hat (https://www.bundestag.de/resource/blob/816306/4b6f8e5608bd56520e8f498d1bb25bc0/19_14_0265-3-_Aerzte-der-Welt_Gesundsversorgung-data.pdf).
- Links
Flüchtlingsrat Leipzig
fluechtlingsrat-lpz.org
fr@fluechtlingsrat-lpz.orgmenschen-wuerdig – Kampagne für menschenwürdiges Leben & Wohnen auch für Asylsuchende
http://www.menschen-wuerdig.org/